Voodoo Jürgens, Chelsea, 11.1.2016

Reise zurück ins Tschocherl mit Strizzi Voodoo Jürgens

Alleinunterhalter aus Tulln namens Voodoo Jürgens. Klingt gefährlich nach Bontempi plus Liedgut, dem man vorzugsweise weiträumig ausweicht: Wolfgang Petry, Vicky Leandros, Roy Black & Co.

Voodoo Jürgens live Chelsea 2016

Voodoo Jürgens live

Entwarnung kann hier gleich gegeben werden: Der Künstlername deutet ohnehin schon leichte Schrägheit an und da die Empfehlung vom Sir Tralala (der danach seinen Gig spielen wird und gegenwärtig mit dem Voodoo Jürgens tingelt) höchstpersönlich kam, war es an der Zeit, sich den Herrn einmal genauer anzusehen.

Der Voodoo hat sich ins Hemd geworfen und einen braunen Anzug drübergezogen, der durchaus aus der Mottenkiste des Opas stammen könnte. Statt Bontempi kommt beim Liedermacher aus Tulln selbstverständlich die vollbeklebte Klampfn (Westerngitarre) zum Einsatz.

Der schmächtig wirkende 32-jährige Blondl legt keinen besonderen Wert auf einen sauber gezogenen Scheitel, setzt aber mit Goldketterl und Rotzbremsn (Schnurrbart) klare optische Signale: Wir machen eine Reise in die 70er bzw 80er des letzten Jahrhunderts – welches sich da und dort ja immer noch finden lässt.




Dort kommen wir in einem grindigen Tschocherl (Säuferlokal, kleine Übersetzungen sind hier wohl insbesondere für jüngere LeserInnen nicht ganz fehl am Platze) an und der Local-Hero-Strizzi, der auch Hömerl, Edwin, Bertl, Fredl, Joe, Peda oder Gustl heißen könnte, singt uns ein paar Gstanzln aus seinem Leben, deren Texte er in den wenig klaren, aber doch grenzgenialen, Minuten zwischen den Espessobesuchen notieren konnte.

Bühnendeko: Eine Flasche Rot plus Originalachterl (jeniges mit den grünen Weinranken drauf, welches wir von den Verwandtenbesuchen am Land in der Hochblüte des Glykolweines kennen).

Voodoo Jürgens live Chelsea 2016

Voodoo Jürgens Chelsea

Quasi als Zeitzeuge und dialektsprechender Randwiener mit niederösterreichischen Roots ist man da sofort mitten im Film und weiß natürlich: Der Voodoo ist sicher kein “Hömerl” – er hat nur immer verdammt intensiv und gut aufgepasst und sich eine Sprache angeeignet, die ein Mensch unter 45 in Wien eigentlich zumeist gar nicht mehr verstehen -geschweige denn sprechen- kann.

Da gibt es nur ganz wenige Ausnahmen – und die haben entweder sozusagen “partiellen Migrationshintergrund” (kommen also aus dem ländlichen Raum) oder wurden im tiefen Gemeindebau sozialisiert.

Milieustudie live – aber auf höchstem Niveau.

Merkatz, Mundl, Maron, Voodoo Jürgens

Nahtlos schließt Voodoo Jürgens an den Texten an, die einst ein Ernst Hinterberger dem Schönsprecher Karl Merkatz als “Mundl” verpasste und in den 70ern für einen Riesenskandal im Lande sorgte.

Was heißt hier “schließt an”? Höret einfach selbst – wir sind so frei, den Song “Tulln” hier in der Liveversion online zu stellen.

Das kann -IMO- unsagbar viel – mir fällt hier gerade einmal ein Sigi Maron ein, der da vielleicht in seinen -zweifelsohne vorhandenen- Kreativjahren mithalten könnte.

Schwerer Tobak aus dem richtigen Leben, präsentiert auch ab und an mit einem süffisanten Grinsen im Mundwinkel – wenn einem angesichts der heftigen Texte ab und an ein Knödel im Hals stecken bleibt, ist ein Lacher oft hilfreich.

Das Publikum im Chelsea sieht das auch so – die Grundstimmung im sehr leiwanden Publikum (ein schöner Mix durch viele Jahrgänge) ist eindeutig positiv bis schwer begeistert.

Apropos Publikum: Auch in der Szenerie nicht ganz unbekannten Herren Redelsteiner und Zamernik (der Fuzzman bringt übrigens im März seinen 5. Tonträger unter die Leute) sind zugegen – beide (so wurde uns gezwitschert) zeichnen wohl auch mit dafür verantwortlich, dass die Songs des Herrn Voodoo in etwa im Mai auch endlich zum Erwerb stehen (beim Konzert gab es nur Wäsche zu kaufen).

Nino aus Wien, Ernst Molden, Voodoo Jürgens

Voodoo Jürgens live Chelsea 2016

Voodoo Jürgens

Am Dialekt kann man fürchterlich scheitern. Beispiel: Der Worried Boy hat den Dialekt genausowenig aufgesaugt, wie mein hauseigener Sohnemann. Love it, or leave it.

Voodoo Jürgens eröffnet hingegen eine gänzlich neue Liga im weit interpretierbaren Liedermachersegment und kommt dabei unglaublich authentisch, ja fast brutal, rüber.

Der noch immer relativ junge Mann, der auf der Bühne auf mich ein paar Jahre älter wirkt als dann von Angesicht zu Angesicht, hat mit Projekten wie Eternias und dem Ersten Wiener Krachmandlorchester schon für ein kleines Stammpublikum gesorgt und wird dieses wohl spätestens mit dem ersten Tonträger deutlich vergrößern.




Wiewohl der “Extremdialektmarkt” natürlich deutlich kleiner ist als das etwas breiter angelegte Werk von z.B. Ernst Molden oder dem Nino aus Wien.

Wie auch immer: Der Dialekt rollt endlich wieder, wir bleiben beim Voodoo Jürgens am Ball!

(Ge)